Oh Porto!

Lehrreiche Reise nach Porto, die ich nie vergessen werde

Ryanair fliegt von Bremen nach Porto.

 

Portugal klang gut als meine Mutter und ich vor ein paar Monaten nach einem uns unbekannten, bezahlbaren Reiseziel suchten. Porto, nehmen wir! Flüge plus ein Gepäckstück gebucht, ein schnuckeliges Apartment im historischen Stadtzentrum von Porto (Ribeira) herausgesucht, Koffer gepackt und nix wie hin. Eine Woche Porto, von Montag bis Montag und – was uns beim Buchen des Urlaubs gar nicht bewusst war – genau über das SUPER-ÜBER-MEGA Partywochenende, an dem das São João Fest (Johannisfest) als wichtigstes Fest der Stadt gefeiert wird!

Laienhafter Mini-Exkurs: Das São João Fest beschreibt den Geburtstag des Apostel Johannes. In der Nacht vom 23. auf den 24. Juni verwandelt sich die gesamte Stadt in eine pulsierende Party. Alle Menschen, ob jung, ob alt, sind mit quietschenden Gummi- oder Plastikhämmern(!) bewaffnet, mit denen man allen anderen (ja, Fremden!) auf den Kopf haut. Ebenfalls beliebt ist Knoblauch an langen Stengeln. Leuten damit im Gesicht(!) herum zu wedeln soll wohl auch Glück bringen, habe ich zumindest so verstanden.

 

Ok, Mama und ich also auf nach Porto. Es war ein atemberaubender Urlaub mit allem Drum und Dran. Portweinprobe, Altstadt, Flussfahrt, Shopping, Markt(halle), Stadtrundfahrt, leckeres Essen... Wir waren begeistert von den freundlichen, unaufgeregten, hilfsbereiten, charmanten, liebenswürdigen Menschen; unser Fazit nach einer knappen Woche: Porto ist eine tolle, tolle, tolle Stadt.

 

Samstag kam dann die São João Nacht. Nur wenige Schritte unterhalb unserer Straße, war das Zentrum der Feierlichkeiten auf dem Ribeira Platz. Auf der großen Bühne gab es Tanz- und Gesangseinlagen, an der Uferpromenade wurde an unzählige Buden und Stände (deren unkoordinierten Aufbauarbeiten, an denen vom Kleinkind bis zur Oma einer Großfamilie alle beteiligt schienen, wir am Nachmittag verfolgt hatten) Bier, Wein und Gegrilltes verkauft. In dieses lustige, laute, lebensfrohe Gummihammer-Getümmel stürzten wir uns.

Pech: Ich lernte eine bittere Lektion. Egal wie sicher man sich in einer Stadt fühlt, auf allen großen Volksfesten gibt es böse Menschen, die das Gedrängel und die ausgelassene Stimmung anderer zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Ich wurde beklaut. Von einem angeblichen „Antonio“, einem Portugiesen im mittleren Alter, der Walsrode und den Vogelpark kennt, wurden wir in ein unverfängliches Gespräch verwickelt, abgelenkt und beklaut. Reißverschluss meiner Handtasche unterm Arm geöffnet, reingegriffen, Geldbörse und Smartphone (auch noch das von meiner Arbeit!!) gezockt. Als ich es merkte, war es schon zu spät. Ich war nur noch sauer. Richtig frustriert über meine eigene Doofheit! Wie konnte mir das passieren!?! EC-Karte, Kreditkarte, Bahncard, Perso, Führerschein...und eine stattliche Summe Bargeld (ja, es tat tüchtig weh...die Details der stundenlangen Selbstgeißelung spare ich an dieser Stelle mal aus...). Zurück ins Apartment, per Zweithandy versucht eine Verbindung zur Auskunft/Polizei/Oma/Schwester/Kreditkartenhotline aufzubauen...Netz überlastet! Geschlagene drei Stunden lang versuchten nun meine Mutter und ich mit den entsprechenden Stellen zu telefonieren während draußen das Volksfest des Jahres tobte. Na ja, nachdem irgendwann die Karten gesperrt waren, und wir es aufgegeben hatten, auf die zugesicherte Polizeistreife zu warten, gingen wir mehr schlecht als recht schlafen. Im Kopf kreisten die Gedanken in Endlosschleifen. Warum sind wir nicht stutzig geworden, als „Antonio“ – so untypisch für Portugiesen – uns ansprach und gar nicht mehr locker ließ? Wenn ich die Tasche doch direkt unterm Arm hatte, warum merk ich Dussel nichts? Oh man, und ich dachte noch, der ist an Mama interessiert und möchte sie kennenlernen, wie dumm bin ich eigentlich? Warum zum Teufel hab ich nichts gemerkt?!

 

Das gesamte Ausmaß meiner Idiotie erfuhr ich am nächsten Morgen, als ich (so wie diverse andere Touristen) das „Touristen-Polizeirevier“ aufsuchte. Ein kleiner Berg Portmonees türmte sich dort schon auf dem Tisch, meines war natürlich nicht darunter. Eine süße Koreanerin (oder Japanerin...?) fing fast an zu weinen, als sie beim Hereinkommen ihr royalblaues Portmonee und ihren Pass erblickte. Ich konnte mich nur allzu gut in sie hineinversetzen und beneidete sie insgeheim. Sehr lange, so schien es, hatten meine Mutter und ich Zeit, die im Revier befindlichen Polizeiposter zu betrachten. Die englischsprachigen Warnungen vor Taschendieben verhöhnte mich. Ich kam mir immer dümmer und naiver vor. Warum musste ich auch alles mit mir rumschleppen? Warum hatte ich mich so sorglos verhalten. Grr, ich Idiot! Schließlich, als der freundliche Polizist meinen Bericht herrlich ruhig und gemütlich aufgenommen hatte, und ich nach dem weiteren Vorgehen fragte (immerhin ging mein Flug zurück nach Bremen schon am nächsten Morgen!), offenbarte er mir, dass die Deutsche Botschaft aufgrund der Feierlichkeiten und des Wochentages (Sonntag), bedauerlicherweise geschlossen sei und – was mich wirklich kreidebleich werden ließ – Ryanair mich ohne Ausweispapiere nicht mitnehmen würde. Ta daa! Schock. Mein ohnehin schon angeschlagener Magen drehte sich vollends um. Der Verlust der Kontrolle. Nicht nur hatte man mir Identität und Geld gestohlen, mehr noch, ich war um meine Rückreise in mein Heimatland beraubt worden.

In den Köpfen meiner Mutter und mir begann es noch fieberhafter zu arbeiten. Wir mussten etwas tun! Was konnten wir tun? Eine Kopie meines Personalausweises hatte ich als Scan auf meinem Laptop, ginge das? Nein, nur Originale werden als Ausweismethoden von Ryanair akzeptiert. Die Vertretung der Botschaft in Lissabon? Auch geschlossen. Der nette Polizist rief noch für mich am Flughafen an, aber erhielt dort die gleiche Information. No papers, no travel. Fotokopien sind ausdrücklich nicht ausreichend. Ich war verzweifelt und fühlte mich ohnmächtig, wie noch nie zuvor. Meine Mutter schlug vor, trotz der Hiobsbotschaft gleich und auf der Stelle mit den Boarding-Tickets zum Flughafen zu fahren, um dort persönlich vorzusprechen. Vielleicht machen die ja eine Ausnahme, wenn man persönlich vorbeikommt? Unser Strohhalm, an den wir uns klammerten. Mit verkniffenen Mündern, Bauchschmerzen und geringem Gesprächsbedarf (und Selbstwertgefühl) machten wir uns auf den mühseligen Weg. Dort angekommen trafen wir an einem Sammelschalter, an dem verschiedene Billigflieger betreut und deren Tickets verkauft wurden, drei Damen vom Flughafenpersonal an. Wie befürchtet erhielten wir die gleiche Auskunft. Ryanair will not let you fly. No chance. Andere Fluggesellschaften, eventuell, aber Ryanair, kei-ne Chan-ce. Nachdem wir geschlagene anderthalb Stunden mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Aeroporto gezuckelt waren, hatte man uns ratzfatz in nur einer Minute ohne eine Miene zu verziehen abgefertigt. Herzlos! Der allerletzte Hoffnungsschimmer (den zumindest meine liebe, optimistische Mutter hatte) war erloschen.

 

Es nützte nichts, ich brauchte einen neuen Flug. Da es anscheinend sonntags oder generell auf dem gesamten hochmodernen Flughafen kein Internetcafé gab, ließen wir uns von meiner Schwester telefonisch die Reiseoptionen durchgeben. („Versuch alles, auch Porto – Amsterdam, oder bis Frankfurt und dann fahre ich Zug; probier mal ab Lissabon; gibt es vielleicht eine Busverbindung...?“) Tatsächlich fand sie einen halbwegs bezahlbaren Airberlin-Flug von Porto nach Bremen (zwar über Palma de Mallorca, aber egal!), zwar erst am Dienstagnachmittag, aber, nachdem der Ryanair-Flug außen vor war, meine beste (wenngleich um ein fünffaches teurere) Reiselösung. Allerdings hatten wir Bedenken, da ich ja immer noch kein vorläufiges Reisedokument von der Botschaft vorliegen hatte. Wenn wir mit Mamas Kreditkarte buchen, wie weise ich mich aus, wenn im Netz im Vorfeld nach einer ID Nummer gefragt wird? Außerdem gab es ja immer noch den Koffer, der bei den Ryanairtickets auf meinen Namen gebucht worden war. Wir mussten auf den Namen meiner Mutter umbuchen lassen, damit ich nicht zwei Tage lang mit dem Riesenkoffer durch die Gegend (wohin überhaupt, ich hatte ja noch keine neue Unterkunft!) schleppen musste. Vor meinem inneren Auge sah ich eine Registrierkasse, die schon wieder „Ka-ching!“ machte: Neue Ausweisdokumente und Führerschein, Ka-ching-ching, weitere Übernachtung in Porto, ka-ching, neuer Flug, ka-ching, Koffer umbuchen, ka-ching... Es nahm einfach kein Ende! Ok, wahrscheinlich ist dies naturgegebener Schutzmechanismus, aber so langsam gewöhnten wir uns daran, dass uns meine weltfremde Touri-Doofheit teuer zu stehen kommen würde. So fühlen sich wahrscheinlich die Finanzminister, wenn sie über immer neue Schulden diskutieren und Rettungsschirme beschließen müssen.Wir also zurück zum Sammelschalter der Billigflieger. Vielleicht, so unsere Hoffnung, konnten wir den anvisierten Flug (der während des Telefonats mit meiner Schwester zu allem Überfluss auch noch teurer geworden war) auch am Schalter bei den Flughafen-Damen buchen, dort bezahlen und die Koffer-Arie in einem Abwasch klären. Die hübsche junge Dame mit dem versteinerten Gesicht, die ich beim ersten „Betteln am Counter“ kennenlernen durfte, konnte sich logischerweise noch an mich erinnern. Ich bat sie, im System nach anderen Flügen (Montagabend) zu suchen, die nach Norddeutschland gingen. Als der günstigste Flug bei 600 Euro aufwärts begann, schaute sie für mich nach dem Airberlin-Flug am Dienstagnachmittag. Bei ihr sollte er nun stolze 290 Euro kosten. Nochmal 40 Euro mehr als laut meiner Schwester im Internet. Ich fragte nach meiner Möglichkeiten mich auszuweisen, wenn ich diesen Flug im Internet günstiger kaufen würde. Die Airport-Dame entschuldigte sich für einen kurzen Augenblick und verschwand hinter einer offenstehenden Tür.

Meine liebe Mutter (deren Kreditkarte durch den Urlaub ohnehin schon sehr beansprucht worden war) sagte mit einem beruhigenden, aber sehr bestimmten Ton: „Lisa, auf die letzten 40 Euro kommt es jetzt auch nicht mehr drauf an. Lass uns den hier kaufen. Überleg mal, den ganzen Stress und die Rennerei und die schreckliche Ungewissheit, ob alles klappt. Es reicht mit dem Stress. Es ist es nicht wert. Was machen jetzt noch 40 Euro? Jedenfalls keinen Unterschied, kauf ihn hier bei ihr und gut!“ Wir hatten endgültig resigniert und waren bereit, für meinen Fehler teuer zu bezahlen. Dann wird der Rettungsschirm eben noch ein Stückchen weiter aufgebläht, gefühlt kein großer Unterschied. Wir hatten uns an die Misere gewöhnt und begannen, sie zu akzeptieren.

 

Die Dame vom Flughafenpersonal kehrte zurück und sagte auf Englisch mit unverändert ausdrucksloser Stimme: „Ich habe mit meinem Manager gesprochen. Wenn Sie eine Kopie Ihres Personalausweises als Ausdruck mitbringen, dann dürfen Sie morgen fliegen. Den Polizeibericht, das Boarding-Ticket und die Kopie der ID-Karte und Sie können reisen.“ Freude, unfassbare Freude stieg in mir auf, mein Körper war wie elektrisiert. Fassungslos wiederholte ich ihre Worte, nach Bestätigung suchend. Ja! Ja! JA!! Die herzlose Flughafen-Dame und ihr Manager hatte eine Ausnahme gemacht, eine Ausnahme bei der Fluggesellschaft, die, wie jedes Kind weiß, nie Ausnahmen macht. Das wusste doch sogar der Polizist! Danke, danke, danke! Obrigada! Obrigada!

 

Mama und ich kauften am Flughafen eine Dankeschön-Karte mit türkisfarbenen Blumenmotiv und stellten eine kleine Bonbontüte mit türkis und roten Bonbons (immer drei von jeder Sorte, damit sie sie gut mit ihren Kolleginnen teilen konnte) zusammen. Auf den Umschlag schrieb ich, da ich ihren Namen nicht kannte: „to the great Airport Lady“. Sie wollte unser kleines Präsent gar nicht annehmen, im Umschlag hätte (so viel es uns dann ein) ja Bestechungsgeld stecken können. Ihre beiden Kolleginnen guckten schon ganz grimmig und meine Heldin vom Flughafen-Counter fühlte sich genötigt, den Umschlag direkt zu öffnen. Egal, ich glaube, auch wenn sie kaum eine Miene verzogen hat, dass sie sich ein bisschen gefreut hat.

Der Rest war ein Kinderspiel. Meine Freundin A. aus Deutschland, die einen Schlüssel zu meiner Wohnung hat, war ein Engel und holte meinen Laptop aus meiner Wohnung und schickte mir die gespeicherte digitale Version meines Personalausweises per E-Mail zu, ich fand prompt an unserer Metrohaltestelle in Ribeira ein Internetcafé und druckte die Kopie. Voilà! Was für mich erstaunlich und irgendwie schon wieder fast zu simpel um wahr zu sein war: Der böse, ekelhafte Diebstahl, der mich in der Nacht und den Vormittag innerlich zerrissen hatte, war plötzlich zu einer Lappalie, einer Nebensächlichkeit geschrumpft. Ich durfte fliegen! Ich kam nach Hause, und zwar wie geplant mit meiner Mutter und nicht erst Tage und viele Strapazen später. Was machte es schon aus, dass ich ein paar lächerliche Behördengänge zu erledigen hatte? Was scherten mich die paar Euros, die ich für diese wichtige Lebenslektion aufbringen musste? Wir verbrachten einen wunderschönen Abend – den vielleicht besten des gesamten Urlaubs - an unserer Uferpromenade in Ribeira.

 

Am nächsten Morgen, als ich zum Abstempeln meiner Perso-Kopie noch ein letztes Mal zum „Bettel-Counter“ musste, war meine Heldin nicht da. Nach der Sonntagsschicht auch kein Wunder. Ihre Kollegin stempelte meine Unterlagen ab, wünschte mir einen guten Flug und schob mir dann, die Reisedokumente zusammen mit einem kleinen Zettel zu. „Von meiner Kollegin, mit der Sie gestern gesprochen haben.“ An dem handgeschriebenen Zettel waren zwei kleine gelbe Schildchen befestigt, auf denen unsere Namen und in Großbuchstaben das Wort „PRIORITY“ stand. Der Zettel las: „As a thank you gesture for the present you gave me yesterday. 'The great airport Lady'“

 

Ryanair fliegt von Bremen nach Porto. Hoffentlich auch noch im nächsten Jahr.

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Kommentare: 1
  • #1

    Dorothee (Dienstag, 26 Juni 2012 12:27)

    Ach Lisa,
    das Ende deiner süßen Geschichte ist ja herzzerreißend. The great airport Lady hat mir meine Schwester zurück gebracht! Wunderbar dass es selbst bei Ryanair noch Ausnahmen gibt.

    Schöne Geschichte, Glück im Unglück und das verlorene Geld und die Behörden-Rennerei ist diese Lebenslektion ganz bestimmt wert!

    Küsschen